Schulbus und mehr in A2

Einen Tag, nachdem unserer Kinder in Ann Arbor mit der Schule begonnen haben, informieren mich die Schulsekretärinnen, mit welchem Bus die Kinder abgeholt und gebracht werden. Mit ernsthaften Entschuldigungen, dass die Busse erst übermorgen bei uns vorbeikommen können, weil die Routen geändert werden müssen. Wir befinden uns mitten im Schuljahr, nur so nebenbei. Da alle drei noch Englisch-Lernende sind, gehen sie nicht in die nächstgelegenen Schulen, sondern in diejenigen, die ein ELL-Programm (Englisch Language Learner) anbieten. Das bedeutet, es gibt dort täglich eine Stunde Englischunterricht in der Schule, in der Middle School sogar noch Nachhilfe für das Mathe-Vokabular, die Englischlehrerin koordiniert auch die Kommunikation mit den Fachlehrern, damit keineR immer nur schlau nickt und dabei unter die Räder kommt, weil er/sie doch nicht alles versteht.

Aber obwohl wir eben nicht die nächstgelegene Schule ansteuern, kommen für unsere Kinder zwei riesige gelbe Schulbusse, um sie zur Middle und zur Elementary School zu bringen. Unsere Schulleiterin stellt uns beim letzten Abholen vor, denn FahrerInnen und Kinder nennen sich beim Namen. Ist ein Kind krank, sagt man dem Busunternehmen Bescheid, damit sich die FahrerInnen keine Sorgen machen. Kommt Kind nach dem Kranksein wieder, wird es herzlich begrüßt, willkommen geheißen, nachgefragt, ob alles wieder gut ist. Unsere Kleine hole und bringe ich zum Bus, obwohl er an der nächsten Straßenecke hält, also am oberen Ende unserer ruhigen Sackgasse, in Sichtweite. Trotzdem hat mich schon die Busfahrerin Miss Brown angerufen, als ich einmal die Zeit verpasst hatte und eine Minute zu spät kam: „Wo bist Du? Alles ok? Wir sind schon hier, lass Dir Zeit!“. Seit einem irrwitzigen Regenschauer, bei dem sie die Kinder möglichst nah ans Haus bringen wollte, hat Julie, die Fahrerin von den großen, herausgefunden, dass sie in unserem Wendehammer auch prima drehen kann. Seither werden die Damen bis vor unsere Einfahrt kutschiert. Meistens steht der Bus noch einen Moment da, weil die drei noch das Thema zu Ende bringen müssen, über das sie gerade reden.

Der Schulbusfahrer der Großen, Mr. Rick, hilft zwischen dem Holen und Bringen in unserer Elementary aus. Und wird von den Kindern angebetet. Er hat immer ein gutes Wort, ein Pflaster oder mal ein Bonbon bereit, wenn es gebraucht wird. Unsere Kleine bringt oft morgens die Großen zum Bus, um Mr. Rick schon mal einen guten Morgen zu wünschen, dann muss sie immer schnell einsteigen, damit er sie drücken kann. Heute Morgen hat es dann angefangen zu regnen. Was macht Mr. Rick? Er fährt sie mit dem Schulbus zurück, damit sie nicht nass wird.

Zur Feier des letzten Schultages vor den Sommerferien kam Mr. Rick vor die Haustür gefahren, um die Großen abzuholen. Die Großen flitzen raus, und er ruft: „Holt mal eure Schwester!“. Die kreischt, rennt mit Nutella, Schlafanzug und ohne Schuhe zum Bus. Und was macht dieser unheimlich nette Mensch? Er schenkt ihr eine Kette mit einem Haifischzahnanhänger! Kind selig, Mutter gerührt, was für ein Start in den Tag!

Die Lehrerin der ersten Klasse bringt ihre Kinder zu den Schulbussen, die nachmittags immer in der gleichen Reihenfolge vor der Schule stehen. Das sind rund 30 Meter. Ein großes Verabschieden, Drücken, Winken. Jedes Kind wird zusätzlich morgens von der Schulleiterin in Empfang genommen und fröhlich begrüßt. Nachmittags betreut die Schulleiterin das Einsteigen und winkt jedem Bus so liebevoll nach, als würden die Kinder zu einer einwöchigen Klassenfahrt aufbrechen. An einem Tag musste Julie an einer anderen Stelle parken und kam dann zu Fuß zum normalen Haltepunkt, um ihre Kinder einzusammeln.

Schulleiter scheinen hier vom Unterricht freigestellt zu sein, denn sowohl die beiden (!) Schulleiter in der Middle School (eine Frau, ein Mann) als auch die Schulleiterin der Elementary sind omnipräsent. Sie tauchen überall auf, helfen beim Öffnen der Spinde, begrüßen die SchülerInnen, sprechen mit Besuchern, nachmittags sind sie Schülerlotsen, scheinen in jeder Pause Aufsicht zu führen und: reden ständig mit den Kindern. Sie sind so unglaublich nah dran.

Und Schulleiter packen handfest mit an (der freundliche Herr im Bus)

An uns Eltern auch: Mindestens (mindestens!) einmal pro Woche kommt per Email ein Schulnewsletter. In der Grundschule noch zusätzlich eine enthusiastische Email von der Klassenlehrerin, die beschreibt, was gerade ansteht, welche Feste gefeiert werden, wie die Ausflüge waren, welche Themen in den unterschiedlichen Fächern bearbeitet werden… Immer positiv und geprägt von einem Optimismus, dem man sich unmöglich entziehen kann. (warum sollte man auch?) In der Middle School von den meisten Fachlehrern, um uns über Unterrichtsinhalte, Ausflüge, Tests… was auch immer zu informieren. Der Tonfall: Immer freundlich und lösungsorientiert.

Überhaupt Offenheit und Kommunikation. Als erklärter Lass-uns-drüber-reden-Fan kann ich hier noch eine Menge lernen. Eine Lehrerin ist krank, voraussichtlich zwei Wochen, vielleicht sogar länger. Es kommt eine Mail, in der umrissen wird, was los ist, und einfach ganz offen informiert wird. So muss keiner spekulieren und mutmaßen, was mit der Lehrerin wohl sein könnte. Sie selbst schreibt auch, hat übermorgen noch einen Arzttermin und freut sich schon darauf, dann wieder kommen zu können.

Auch wirklich schlimme Dinge werden absolut offen kommuniziert: Ein Neuntklässler, der im letzten Jahr von unserer Middle auf die High School gewechselt ist, hat Selbstmord begangen. Ohne Verzögerung bekommen wir Eltern vom Schulleiter eine Email, in der die traurigen Nachrichten geteilt werden und berichtet wird, wie die Schule damit umgeht. Den Kindern wird es von den LehrerInnen gesagt, um die Gerüchteküche im Griff zu haben. Die LehrerInnen reden mit den Kindern und versuchen, das Thema zu besprechen. Gleichzeitig hat die Schule Tipps zusammengestellt: Wie bemerke ich, dass ein Teenager Probleme hat, wie gehe ich damit um, wie kann ich Depressionen bekämpfen, wie rede ich mit meinen Kindern über den (Frei-)Tod eines anderen Kindes usw. Darüber hinaus organisiert der Schulleiter umgehend einen Infoabend über Depressionen bei Jugendlichen und bittet um Fotos und Erinnerungen an den Jungen, um damit eine Collage für die Familie herzustellen.

Und als kürzlich Amok-Alarm in einer der High Schools in Ann Arbor ausgelöst wurde, weil eine unbekannte, vermummte Person auf dem Schulgelände gesehen wurde, kam auch dazu sofort eine Email rein: „There is a lockdown situation at Huron High…. Die Kinder sind mit ihren Lehrern sicher in ihren Klassenräumen, die Polizei (und das bedeutete in dem Fall: wirklich alle Polizeikräfte aus allen umliegenden Revieren, Nachbarstädten) ist vor Ort und klärt die Lage. Wir melden uns sofort, wenn es etwas Neues gibt.“ Nach einer Weile kam die erlösende Mail: „All clear at Huron, Kinder werden jetzt nach Hause geschickt“. Ich möchte nicht wissen, welchen Ärger der Knabe aus Ypsilanti bekommen hat, der sich diesen hirnverbrannten und ziemlich teuren Senior-Scherz geleistet hat.

Baustelle auf der Hauptstraße vor der Grundschule? Eine Email von der Schulleiterin: „Hier ist Verkehrschaos, alle Busse kommen heute später nach Hause, es ist aber nichts passiert.“

Als an einem Schneetag der Bus der Kleinen an einem Berg festhing, kam der Anruf: „Das wird noch eine halbe Stunde dauern, möchtest du sie abholen? Wir können auch gerne hier auf sie aufpassen, bis der Bus kommt!“

Es gibt Menschen, die den Amerikanern einen Hang zu Panikmache, Kontrollzwang und Übervorsichtigkeit vorwerfen. Ich bin einfach dankbar für diese klare und schnelle Kommunikation.

In unserer Elementary School

 

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