Politisch inkorrekter Beitrag

oder: Autofahren in Amerika

Wandgemälde in Detroit

Dass die USA ein Autoland sind, ist weder neu noch überraschend. Und auch wenn die Volt- und Prius-Dichte (also vermeintlich umweltfreundlichere Hybrid-Autos) hier in Ann Arbor und in Kalifornien unglaublich hoch ist, lässt sich die Tatsache, dass jeder immer und überall Auto fährt, nicht leugnen. Ist auch mitunter schwierig, weil einfach alles größer und damit weiter auseinander ist. Selbst wenn ich wollte, könnte ich nicht all das, was ich in meinem Dorf in Deutschland zu Fuß oder mit dem Fahrrad erledige, hier genau so machen, weil es jeweils ein Tagesausflug wäre, mit drei Kindern zum Reitunterricht oder Fußballtraining zu radeln…
Innerhalb der Stadt (ich meine Ann Arbor, nicht Detroit…) ist es einfacher, sich umweltgerecht fortzubewegen. Es gibt europäische Bürgersteige, ein gutes Busnetz und das Radfahren macht Spaß: viele Fahrradwege, Autofahrer nehmen in der Regel Rücksicht und die Busse haben vorne Fahrradträger, sehr angenehm.

Fahrradfreundliches sogar in Detroit

Ich kann auch nicht rechtfertigen, dass ich als linke Ökotante trotzdem eine echte Schwäche für Autos und das Autofahren habe, schon seit ich mit 18 Jahren ENDLICH den Führerschein machen durfte. Das ist sozusagen mein persönliches umwelttechnisches Versagen. Niemand wäre glücklicher als ich, wenn es endlich umweltverträgliche Geländewagen oder F350s geben würde (na gut, ein F150 wäre auch schon genug. Das sind diese großen Pick-Ups, die manche zum Arbeiten brauchen, und viele zum Angeben.) Ich fahre wahnsinnig gerne Auto, und ich fahre sehr, sehr gerne große und schnelle Autos. Ich liebe das Gefühl der Unabhängigkeit. So, jetzt ist es raus. Verurteile mich, aber es ist so. Trotzdem versuche ich, so umweltbewusst wie möglich zu fahren, ist doch klar. Auch wenn das hier wegen der Entfernungen eben nicht so geht wie in Deutschland. Ja, ich hätte mir ein ökonomischeres Auto aussuchen können, aber das hätte dann kein Allrad für den Winter und keine sieben Sitze gehabt. Pause.

Und trotzdem schreibe ich jetzt hier mal über die angenehmen Seiten des amerikanischen Verkehrs, einfach so. Ich kann ja nicht immer nur politisch korrekt sein. Nicht mal hier. Über den Motor-Individualverkehr-Wahnsinn weißt Du wahrscheinlich genug.

Autofahren macht hier Spaß. Also, hier. In Los Angeles oder New York vielleicht nicht so. Aber hier schon. Denn alles ist auf Autos ausgelegt (nicht vergessen, Mo(tor)town Detroit ist einen Steinwurf entfernt).
Das fängt schon damit an, dass das Normal-Auto hier ein Automatikgetriebe hat. Ich habe keine statistischen Belege, noch nicht mal alternative facts, aber gefühlt ist hier Automatik so normal wie in Deutschland Schaltung. Und Automatik bedeutet: mehr PS nötig für gleichen Fahrspaß, höherer Spritverbrauch, und ein Fahrgefühl wie beim Autoscooter: Musik an, Gaspedal drücken und am Lenkrad drehen. Kann jeder.

Geht auch schon mit zwölf – wenn man mit den Füßen an die Pedale kommt

Egal, wohin man fährt – es gibt einen Parkplatz. Und nicht einen, bei dem Mann oder Frau gekonnt zwanzigmal vor und zurück fummeln muss, um einzuparken. Nein: reinfahren, fertig. Überall ist Platz, egal wie groß das Auto ist. Bis auf die Innenstadt von Ann Arbor, da KANN es MANCHMAL, bei Veranstaltungen, sein, dass man einen Block weiter laufen muss. Aber das ist hier eher die Ausnahme. (Ok, oder es ist ein Spiel im Big House, dem Stadion der University of Michigan. Dann läuft die komplette Stadt gelb-blau an, jeder grillt neben seiner Heckklappe und die Anwohner vermieten ihre Vorgärten als Parkplatz – über hunderttausend Sitzplätze sind halt kein Pappenstiel in einer Hunderttausend-Einwohner-Stadt, kleiner Exkurs…)
Eine Ausnahme hier, die Regel in Ecken wie New York, wo es irgendwie deutlich angenehmer ist, gar kein Auto zu haben, weil man entweder im Stau steht oder ein Vermögen ausgibt, das Auto irgendwo abstellen zu dürfen. Und man mit der U-Bahn schnell und einfach überall hinkommt.

Überall hinkommen ist ein gutes Stichwort. Der Amerikaner an und für sich lebt also in seinem Auto – my car is my castle. Die Autos auf den Friedhöfen kennt man ja aus Filmen. Und auch sonst nähert sich Deutschland dem Drive-In oder -Through an. Es gibt Drive-Through-Fastfoodrestaurants, kennst Du auch, und es gibt Drive-Through-alles-mögliche: Apotheken haben einen Autoschalter, Supermärkte, Kaffeeläden natürlich. Und weil man sich hier nur selten ohne Getränk fortbewegt, das man entweder im eigenen Thermobecher, einer Trinkflasche oder eben dem Drive-Through-Laden-Becher bei sich hat, muss jedes Auto, das hier verkauft werden soll, unendlich viele Becherhalterungen haben. Überall. Kinder- und Einkaufswagen übrigens auch. Becherhalter – überall!

Und ein Castle dient auch als Ausdruck persönlicher Vorlieben und Ansichten – Bumpersticker!

Aber wieder zum Fahren:
Linksabbieger auf großen Straßen? Kein Thema. Es gibt allerorts gesonderte Linksabbiegerspuren, Trennstreifen zwischen den Fahrbahnen, so dass man stressfrei einen Zwischenstopp einlegen kann, wenn man vier Spuren überbrücken muss, gesonderte Bögen für U-Turns (wie heißt das denn auf deutsch?). Es gibt hier keine Ecke, die ich zu meiden versuche, weil man schlecht wegkommt. Nirgendwo hektische Flecken, weil alles so entspannt zu fahren ist.

Entspannt trifft besonders auf die Autobahnen zu. Das ändert sich auffallend, wenn man sich Detroit nähert. Von Westen kommend wird das Klima ab dem Flughafen rauher, ganz klar. Aber im Allgemeinen ist das Autobahnleben hier ein langer ruhiger Fluß. Vor unserem Umzug hatte ich ein bisschen Bedenken, ob ich es aushalte, nicht schneller als 70 oder 75 Meilen pro Stunde (knapp 121 Stundenkilometer) auf der Autobahn fahren zu dürfen. Damit ist Michigan eine der mittelschnellen Gegenden. Ein großer Teil der Staaten hat das Tempolimit auf 70 (113 km/h) festgelegt, in Neuengland teilweise nur 65 mph (105 km/h). In einigen der Flächenstaaten, in denen man unendlich lange ohne andere Verkehrsteilnehmer zu treffen einfach nur geradeaus fährt, darf man das auch mit 80 mph (129 km/h) tun. Nach der Ölkrise in den frühen 1970er Jahren wurde das Tempolimit eine ganze Weile auf 55 mph (89 km/h) festgelegt, um Benzin zu sparen. Der Gedanke, dass Amerikaner über Benzinsparen nachdenken, kommt mir fast grotesk vor, wenn ich mir diese spritschluckenden Monstertrucks anschaue. Warum sollten sie auch? Ich ärgere ich mich ja schon fast, dass der Sprit im Moment so teuer ist: rund $ 2.50 pro Gallone. Umgerechnet bedeutet das 59 (Euro) Cents pro Liter…

Übrigens ist groß sehr relativ.

Groß…

…oder eher klein?

Auf jeden Fall ist also die Durchschnittsgeschwindigkeit hier ganz anders als mein Fahrverhalten in Deutschland. Und was soll ich sagen? Es ist herrlich. Es ist so entspannend, einfach mit den anderen mitzuschwimmen. Da keine Raser von hinten kommen, teilt man sich friedlich die Spuren. Ich bin mir nicht sicher, ob es hier mittlerweile so etwas wie ein Rechtsfahrgebot gibt, aber das interessiert auch keinen. Jeder fährt da, wo er gerade ist, so schnell, wie es gerade sein soll. Sehr amerikanisch, fällt mir gerade auf: Leben und leben lassen. Da die Geschwindigkeitsunterschiede nicht so immens sind und alle erwarten, dass um sie herum überall schnellere Autos sein können, ist das aber kein Problem. Außerdem passiert es häufiger (anders als in Deutschland), dass man sich auf großen Straßen und Autobahnen von links in den Verkehr einfädeln muss. Das schärft die Aufmerksamkeit noch zusätzlich.

Auf den Mittelstreifen stehen in regelmäßigen Abständen die Polizeiautos. Auch deswegen ist unauffälliges Mitschwimmen ratsam. Wenn es denn dann doch passiert, dass man angehalten wird? Das ist uns bis jetzt einmal passiert, auf der Uferstraße entlang des Huron, da sind 35 mph erlaubt. Da wir aber mit einem alten, ollen Auto mit einem alten, ollen Tachometer unterwegs waren, sind wir vielleicht eher 40 gefahren. Und – schwupps – ging hinter uns die Sirene an. Rechts ran fahren, Hände am Steuer lassen und so harmlos wie möglich aussehen. Kleine Brötchen sind der nie falsch. Der junge Officer hatte Langeweile, wollte sich das alte, olle Auto anschauen und hat uns dann autoritär-freundlich darauf hingewiesen, dass wir ein bisschen zu schnell gefahren sind und das nicht mehr machen sollen. Puh.

 

Auch die Orientierung ist hier ein Einfaches.

Grundsätzlich orientiert man sich mit Hilfe der Himmelsrichtungen. Das finde ich unglaublich hilfreich. Auf den Autobahnen stehen auch die Fernziele auf den Schildern, aber bei east-, west-, north- oder southbound weiß man sofort, wohin die Reise geht.

Da Straßen hier gerne (über (sehr) lange Strecken) schnur-gerade-aus verlaufen, stimmt die Richtung dann auch wirklich. Im Übrigen sind die Autobahnen (Interstate Highways, kurz Interstate) genau wie bei uns nummeriert: ungerade Nummern für Nord-Süd-Verbindungen, gerade Nummern verbinden Osten und Westen.
Querstraßen sind inner- wie außerorts (sogar Straßenbrücken über den Autobahnen) mit weithin sichtbaren und gut lesbaren Schildern versehen, die den Namen der jeweiligen Querstraße anzeigen. So lernt man unwillkürlich die Straßennamen auswendig, ohne es zu merken. Da die größeren Straßen meistens ewig lang sind, kann man sich auch damit gut weiterhelfen, wenn man den Überblick verloren hat. Frei nach dem Motto: „Irgendwann kreuzt die Liberty die Main, also fahre ich einfach immer weiter, bis ich an die entsprechende Kreuzung komme und wieder weiß, wo ich bin.“ Noch leichter, wenn man auch in die richtige Richtung fährt. Merkt man, dass man der Sache nicht näher kommt, dreht man einfach um und versucht es in die andere Richtung. Irgendwann hat man die Main Street dann gefunden – narrensicher!

Das ist das Gute daran, wenn man eine Stadt bzw. ein ganzes Land in einem relativ kurzen Zeitraum erschließt: Die Straßen folgen einem klar verständlichen System, einem Gitternetz. Über Land sowieso, aber auch in den Orten und Städten. Manhattan beispielsweise: Streets gehen von links nach rechts und sind nummeriert; kleine Zahlen unten im Financial District, oberhalb der 57sten kommt der Central Park und so weiter. Der Zusatz ‚West‘ und ‚East‘ lässt keinen Raum für Verwirrung. Von längs verlaufen die Avenues, mit der Ersten im Osten beginnend, bis zur Zwölften an der Westseite. Ich finde das irre, dass man sich in einer so großen Stadt auch als Fremder nicht verlaufen kann und immer das Gefühl hat, sich richtig gut auszukennen.

Ungewohnt war für mich anfangs die Tatsache, dass man an Ampeln immer rechts abbiegen darf, sofern es ein Schild nicht ausdrücklich verbietet (‚No turns on red‘). Man muss kurz anhalten, um sicher zu sein, dass niemand kommt, dann darf man bei Rot fahren.

Woran ich mich schwer gewöhnen kann, ist, dass hier keine Helmpflicht besteht. Ich finde es immer noch befremdlich, wenn ich Motorradfahrer auf dicken Maschinen ‚oben ohne’ auf der Autobahn sehe.

Am aller-amerikanischsten finde ich die All-Way-Stop-Kreuzungen. Dort haben alle aufeinandertreffenden Straßen ein Stoppzeichen und jeder muss erstmal anhalten. Man guckt, kommuniziert, winkt freundlich, und fährt dann ordentlich der Reihe nach, wer zuerst angehalten hat, darf zuerst weiterfahren. Das funktioniert hervorragend und der soziale Aspekt freut mich jedesmal.

So, und jetzt gehe ich Asche über mein Haupt streuen und Müll sortieren.

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