Ich bin kurz nachdem mich das Quiltvirus angefallen hat nach Michigan gezogen. Ich hatte keine Ahnung, was eine Quiltgilde ist, aber ich dachte: „Quilt“ – wird schon gut sein. Und ich habe mich nicht getäuscht. Es ist sogar besser als gut. Beide Gilden in Ann Arbor sind der Knaller. Den Hashtag #quiltguildchangedmylife gab es schon – sonst hätte ich ihn erfinden müssen.
Patchworkgilde Deutschland
Weil ich nur ganz kurz in Deutschland gequiltet habe, kenne ich mich nur wenig damit aus, wie das Quiltleben auf der anderen Seite vom Atlantik aussieht. Ich weiß, dass es die Patchworkgilde Deutschland gibt. Die hat ihren Sitz in Dortmund, mit regionalen Vertretungen, bringt eine sehr lesenswerte Zeitung heraus, organisiert Ausstellungen, Wettbewerbe, Kursleiter-Ausbildungen, Jugendarbeit – und auch deutschlandweit jede Menge Kurse, soweit ich das sehe. Anfang 2020 bin ich auch endlich Mitglied geworden, und dank Zoom konnte ich sogar an ein paar Workshops teilnehmen.
Moderne Gilden
Die moderne Quiltwelt ist auch vertreten: es gibt eine Zweigstelle der amerikanischen/weltweiten Modern QuiltGuild in München, Einzelmitglieder und wohl auch einige unabhängige Moderne Gruppe. So ganz bekomme ich über das Internet nicht heraus, wie (gut) sie funktionieren.
In Köln gibt es die Modern Cologne Quilters, die sind sehr nett und machen absolut beeindruckende Sachen, sind aber keine offene Gilde.
Auch SAQA (Studio Art Quilt Associates) ist toll und hat einen deutschen Ableger.
Sogar einen Quilt-Podcast auf deutsch gibt es!
Und dann gibt es natürlich das Quiltkarussell von Emanuela Jeske, die seit November 2020 als erste und einzige deutschsprachige Quiltpodcasterin unser Hobby den Deutschen näher und uns QuilterInnen zusammenbringt, nicht als Gilde natürlich, aber ihr gemeinschaftsstiftender Einfluss ist wirklich unglaublich. Absolut genial, ich freue mich jede Woche auf den Donnerstag!
Hört doch mal rein, ich durfte schon zweimal zu Gast sein: in Folge 19 und 69 zu Gast (die kannst Du hier auf meiner Startseite finden)
Aber darüber will ich ja gar nicht schreiben (auch wenn es mich brennend interessiert, was in Deutschland passiert), sondern darüber, was es in Amerika so gibt. Über das Stoffkaufen und verschiedene Veranstaltungen und Museen habe ich schon geschrieben, hier geht es jetzt um die Gilden.
Quilt-Gilden in Amerika – oder besser: in Michigan
Michigan ist etwas mehr als halb so groß wie Deutschland, es leben aber nur rund 10 Millionen Michigander hier. Es gibt hier über hundert traditionelle Gilden. Drei lokale Ableger der Modern Quilt Guild. Und wahrscheinlich noch viele, die ich nicht gefunden habe bzw. die anders organisiert sind. Das muss man erstmal verdauen, oder?
In Ann Arbor haben wir beides, die traditionelle GAAQG (Greater Ann Arbor Quillt Guild) hat derzeit nur noch 245 Mitglieder, in besseren Zeiten waren es 400. Die moderne A2MQG (Ann Arbor Modern Quilt Guild) zählt im Moment rund 60 Mitglieder.
Die Greater Ann Arbor Quilt Gilde
Also, meine heiß geliebte GAAQG. Ich hatte mich 2016, als ich gerade hergezogen war, online angemeldet und bin dann todesmutig und ganz alleine zum ersten Workshop marschiert. Seither habe ich viele Freundinnen gewonnen und mich mehr und mehr einbringen können. Seit 2020 bin ich die Social-Media-Editorin für unsere Facebook– und Instagram-Accounts.
Traditionell klingt in meinen Ohren ein bisschen langweilig und verstaubt, aber das trifft es so gar nicht. Schau Dich auf der Webseite um, dort sieht man, dass der ganze Reichtum der Quiltkunst vertreten ist. Und das auf ganz schön hohem Niveau. Eine ganze Menge der Mitglieder sind selbst Quilt-Lehrerinnen und/oder Künstlerinnen. Die Gilde bietet unglaublich viel an.
Die Gildetreffen
In jedem ungeraden Monat findet am dritten Samstag unser Quilttag statt. Da gibt es immer einen Vortrag von einer/m GastreferentIn. Diese GastreferentInnen geben auch die beiden Workshops freitags davor und sonntags danach. Das bedeutet, alle zwei Monate kann man in den Genuss von zwei Workshops kommen. Referenten sind QuilterInnen wie Joe Cunningham, Sherri Lynn Wood, Irene Roderick, Maria Shell… An dieser Auswahl merkt die Kennerin, wie wenig ‚traditionell’ die Gilde aufgestellt ist. Wobei traditionell ja auch heißen kann „Tradition ist, immer allem aufgeschlossen und neugierig gegenüber zu sein“, das trifft es dann sehr gut.
Die Workshops und Treffen finden hier außerhalb von Corona im Community College statt. Große Räume, Parkplätze und alle Annehmlichkeiten, die man so braucht. Von 9 bis 16:00 Uhr gibt es dann nur lernen und nähen, das ist traumhaft. In der Regel sind es 20 Personen pro Workshop.
Samstags trifft man sich, quatscht, es gibt oft kleinere Demos, die Mitglieder für andere machen, z.B. eine bestimmte Technik oder der Umgang mit einem bestimmten Werkzeug. Der Gilde-Vorstand referiert kurz über Neuigkeiten, und dann kommt das Show & Tell. Wer mag, kann zeigen, woran sie arbeitet oder was sie fertig gestellt hat. Da die Gilde so groß ist, zeigen natürlich nicht alle etwas, aber es gibt tolle Sachen zu sehen und Geschichten zu hören – vom allerersten Quilt, preisgekrönten Meisterwerken, uralten Familienerbstücken bis hin zu den neuesten Experimenten aus dem Workshop vom Vortag.
Bewundert werden außerdem alle Quilts, die in den jeweils letzten zwei Monaten für das hiesige Frauenhaus gemacht wurden. Und das sind eine Menge! Wer möchte, kann sich aus dem gespendeten Stoffvorrat, der auch immer bei den Treffen ausgelegt wird, bedienen, und nähen. Das Batting wird von der Gilde gesponsert. Auf diesem Wege kommen pro Jahr um die 300 Quilts zusammen! Mindestens 60×80 Inch groß. Vom Frauenhaus wissen wir, wie sehr diese Quilts von ihren Empfängerinnen geliebt und in Ehren gehalten werden.
An den Quiltsamstagen gibt es im Mai und Juli noch Stoff-Flohmärkte, im Mai sind das gespendete Stoffe für einen guten Zweck (wieder das Frauenhaus). Ich bin Mitglied im Team für diesen Verkauf. Wir bekommen teilweise ganze Nachlässe von verstorbenen Quilterinnen, das bedeutet Stoff und Zubehör im Wert von vielen, vielen Tausend Dollar! Bei unserem epischen Stoffverkauf 2021, nach der Pandemiepause, waren unsere Einnahmen fünfstellig. Eine tolle Spende für das Frauenhaus.
Im Juli kann jede für sich selbst verkaufen. Im September gibt es einen Quilt-Bücher-Verkauf, jedes Buch für einen Dollar.
In der Regel kommen auch Quiltläden mit einem Verkaufsstand zu den Treffen.
Im Januar, März und September gibt es im Anschluss einen Nähtreff, bei dem Quilts für das Frauenhaus entstehen. Das macht zusammen besonders viel Spaß, weil manche dann einfach nur auf Teufel komm raus schneiden, andere bügeln, wieder andere nähen das Binding an… frei nach dem Motto „Teamwork makes the dream work“.
Vertreten ist auch immer die Leihbücherei der Gilde, bei der man aus 500 Büchern wählen kann.
Seit Corona läuft das fast alles (bis auf den Stoffverkauf natürlich) überraschend reibungslos über Zoom weiter. Dass wir trotz Zoom im Jahr 2021 durchschnittlich 18,9 Teilnehmerinnen pro Workshops hatten, zeigt, dass sich hier keiner von einer Pandemie beirren lässt. Kannst Du auch hier nachlesen.
Quiltshow
Und dann gibt es, im jährlichen Wechsel, eine große Quiltausstellung mit 2000 Besuchern. Sie findet in den geraden Jahren statt und ist ein echtes Quilfest. 2020 wurde sie kurzerhand ins Internet verfrachtet, gut 325 Quilts, der sonst übliche Eintritt wurde in eine freiwillige Spende umgewandelt und der Erfolg war umwerfend: „Eintritt“ und Verkauf von 34 Quilts haben fast 12.000 Dollar Spenden für das Frauenhaus eingebracht). Du kannst sie Dir hier anschauen, sie ist immer noch online! In diesem Jahr waren wir wieder in echt da, was für eine Freude. Donnerstag und Freitag aufbauen, Samstag und Sonntag Showtime mit 300 Quilts, Sonderausstellungen, einem absolut genialen Geschenkeladen mit handgemachten Schönheiten lokaler Künstlerinnen und Verkaufsstände von 19 HändlerInnen.
Das war sooo schön, alle wieder zu sehen.
Quilt University
In den ungeraden Jahren gibt es die Quiltuniversität – QU, das bedeutet drei Tage prallvoll mit Workshops, Freitag bis Sonntag, von morgens bis abends. Nach den eigentlichen Workshops gibt es noch Miniworkshops, die Mitglieder der Gilde für alle anbieten. Das einzige Problem dabei ist, dass man immer nur in einem der spannenden Workshops gleichzeitig sein kann. Es gab 2017 so interessante Angebote, dass ich mich kaum entscheiden konnte. Mittags hat man nach dem gemeinsamen Essen die Möglichkeit, in den anderen Räumen zu schnuppern und zu sehen, was die anderen so machen. Es gab Designklassen, Stoffgestaltung, Paperpiecing, Free-Motion-Quilting, Embellishment… wie gesagt, das Entscheiden war das Schlimmste!
Für die QU 2019 durfte ich mit meinen zwei Freundinnen das Organisationsteam sein. Wir haben geniale Lehrerinnen verpflichten können: unsere ‚eigene’ Debbie Dunn Grifka (sie ist aus Ann Arbor), Shannon Brinkley, Victoria Findley Wolfe, Susan Purney Mark, Michelle Dobrin… Richtig, richtig doof war nur, dass ich das Ganze dann verpasst habe, weil wir ein paar Wochen vorher nach Spanien gezogen sind, ommmm! Aber das Planen hat auch Spaß gemacht. Fairerweise muss ich sagen, dass sich für 2023 niemand gefunden hat, der/die sich dieser Aufgabe widmen will, also wird sie wohl erstmal nicht stattfinden.
Noch nicht genug? Nein.
Kleine Gruppen
Über die Gilde bilden sich kleine Gruppen, die sich dann Themen suchen, miteinander nähen etc. Ich bin eher aus Versehen in einer Art-Quilt-Gruppe gelandet, in der ich gelernt habe, dass ich (noch) keine Ruhe und Muße für diese Kunst und richtig viel Kreativität habe. Trotzdem hatte ich sehr viel Spaß mit diesem Trüppchen. Sie haben mich unter ihre Fittiche genommen und mich nie merken lassen, dass ich ihnen nicht das Wasser reichen kann. Wir haben sehr konzentriert gearbeitet und ich habe so viel gelernt. Die Ergebnisse der anderen waren schlichtweg atemberaubend, sie sind unglaublich talentiert und hatten dann eine Sonderausstellung in der Quiltshow 2018 mit dem Titel „48103“ (das ist unsere Postleitzahl, wir haben zufällig alle ganz nah aneinander gewohnt). Im April 2018 haben wir zusammen einen Ausflug nach Chicago zum Quiltfestival gemacht (das ist das Pendant zur Fachbesuchermesse Quilt Market, offen für jeden).
Eine andere tolle Gruppe haben wir Tech-Focus genannt, weil wir uns nur mit technischen Fragen beschäftigt haben, Fotos und ihre Bearbeitung, Clouds, Socialmedia-Management, Software, bloggen etc. Sie pausiert mittlerweile, weil wir schon so viele Gebiete abgearbeitet haben. Wir haben uns gegenseitig geholfen und Tech-Themen vorgestellt. Dazu haben wir uns rege in unserer geheimen Facebook-Gruppe ausgetauscht und uns monatlich in einem Besprechungsraum in der Bücherei getroffen, den man kostenlos mieten kann. Und danach folgte immer noch ein gemeinsames Mittagessen beim Thai nebenan.
Im Moment treffe ich mich mit einer Gruppe, die sich Quilt Study Group nennt, mit dem Schwerpunkt auf Quiltgeschichte, historische Quilts und Stoffe. Super spannend.
Die meisten Gruppen treffen sich ein- bis zweimal im Monat, und sind anfangs der Pandemie einfach auf Zoom umgestiegen. Dazu können sie den Account der Gilde nutzen. Das läuft hervorragend.
In jeder Gruppe findet man wieder neue Freundinnen, lernt voneinander und fühlt sich der Gilde verbundener. Ich habe das Gefühl, dass ich gar nicht soviel zurückgeben kann, wie ich bekommen habe.
Noch mehr Quiltgilden
Und das ist ja nur unsere Gilde hier in Ann Arbor, die nächsten Gilden sind nicht weit weg, wenn auch meistens nicht so groß wie unsere. Aber die haben dann auch wieder tolle Sachen im Angebot, die Modernen Detroiter (DAMQG) hatten z.B. Heather Givans (Crimson Tate) hergeholt, Amanda Jean Nyberg (No Scrap Left Behind) haben wir uns geteilt, also, sie ist angereist und hat dann in Ann Arbor und Detroit einen Workshop abgehalten. Gilden bezahlen neben dem Honorar (für einen 6-stündigen Workshop $ 600 – 1200, für einen Vortrag ab $ 300, je nach Bekanntheitsgrad) auch die Flug- und Hotelkosten der LehrerInnen. Die spart man sich natürlich mit Zoom, deswegen geht es da noch wilder, Die DAMQG oder die Great Lakes Heritage Quilters hatten phantastische Gäste: Jen Kingwell aus Australien, Mary Fons (da war sie gerade in London), Kaffe Fassett, Daisy Aschehoug (Norwegen), und wie sie alle heißen sind ohne Reisekosten auf einmal bezahlbar.
Die Menge der Gilden erklärt übrigens auch, warum „Quilt-Teacher“ hier ein ganz normaler Beruf ist. Wenn man davon ausgeht, dass die meisten Gilden 5-10 Treffen pro Jahr haben, in denen sie Vorträge oder Workshops für ihre Mitglieder und Gäste anbieten, plus die unzähligen Stoffgeschäfte, die auch alle Programme bieten, versteht man, wie groß die Nachfrage nach Lehrkräften ist.
Die A2MQG
Apropos modern, da gibt es ja noch die Modern Quilt Guild in Ann Arbor. Auch da bin ich leidenschaftlich gerne Mitglied. Diese Gilde trifft sich einmal im Monat. Wir kommen (seit 2020 auf Zoom oder draußen) zusammen, erzählen, machen Show & Tell, und jedes Mal gibt es eine andere Sache, die irgendwie neu für mich ist, vor allem viele Swaps: Yankee Swap, Secret Stalker Swap, Ornament Swap…. Einige beteiligen sich an einem Round Robin. Außerdem hat auch diese Gilde eine Bibliothek und es gibt in der Regel eine Demo über eine bestimmte Technik, ein kleines Projekt oder ein Thema, z.B. „Auf welche unterschiedlichen Weisen kann man Label machen?“, darüber hat kürzlich Laura Hartrich erzählt.
Die Gilde organisiert einige Sew-In-Tage, Workshops (Annabel Wrigley (littlepincushionstudio), Giucy Giuce, Rossie Hutchinson, Rae Hoekstra (die beide von hier sind)) und ein jährliches Retreat.
Auch hier sind wieder echte Profis dabei, die mich anfangs ein bisschen eingeschüchtert haben. Zig Mitglieder sind echt richtig, richtig gut und teilweise ziemlich bekannt, so viele haben ihre Sachen veröffentlicht, Quilts in Paducah, Houston und der QuiltCon gehabt, Quilt of the Month in der MQG gemacht, Bücher veröffentlicht… das finde ich ganz schön beeindruckend. Aber QuilterInnen sind eben QuilterInnen: egal wie Profi oder AnfängerIn jemand ist – jedeR gehört einfach dazu und wird herzlich willkommen geheißen. Das ist für mich mit Abstand das Schönste an den Gilden.
[…] ist sie die Präsidentin der Ann Arbor Modern Quilt Gilde, und auch Mitglied in der traditionellen Gilde, der GAAQG. Sie hat mich schon auf so viele gute Gedanken gebracht, irgendwie ist sie einer von […]
Ein toller Post, mein Tipp: bleib‘ in Ann Arbor! 😉
Ach Martina, neee, das ist ja auch keine Lösung, :oP. Ich bringe einfach ein bisschen Ann Arbor mit nach Hause, das ist mein Plan :o)
Vielen Dank für deinen ausführlichen Bericht! Von sowas können wir hier in der Schweiz nur träumen.
Liebe Grüsse Katharina
Hallo Katharina,
ja, das ist schon unglaublich, wie groß die Quiltwelt hier ist. Da ich hier eigentlich erst so richtig angefangen habe, ist das mein ‚Normal‘, und ich bin so gespannt, wie es in Deutschland sein wird.
Liebe Grüße in die Schweiz,
Nico