Wie wär’s mit einem Quiltworkshop mit Livemusik? Und wenn der Musiker dann auch noch ein richtig guter Quilter wäre? Wäre ziemlich genial, oder? Es IST ziemlich genial!
Die Quiltgilde von Ann Arbor hat mal wieder einen international renommierten Künstler in unser kuscheliges Örtchen geholt, um uns mit Workshops und Vortrag zu erfreuen.
Diesmal ist es Joe Cunningham, der aus Presidio of San Francisco, also aus Kalifornien, angereist ist. Da er ursprünglich aus Flint in Michigan stammt und sich als junger Musiker oft in Ann Arbor herumgetrieben hat, ist es für ihn eine Art Heimspiel.
Linda Theil hat ihn im Dezember 2016 schon mal vorab interviewt, die deutsche Übersetzung findest Du hier, das englische Original hier.
Es ist ja schon eine mutige Sache, sich als Hahn im Korb in einen Raum mit einer Horde lernwilliger, aber teilweise auch sehr erfahrener Quilterinnen zu trauen. Aber einen Mann, der sich schon 1979, also ganz zu Beginn der großen Quilt-Renaissance hier in Amerika, auf das Gebiet der Stoffkunst gewagt hat, kann das wohl nicht erschüttern.
Auch wenn er während der beiden Workshop-Tage wacker um ein bisschen Autorität kämpft, nimmt er deren Nichtexistenz mit viel Humor. Mit sehr viel Humor sogar, wir hatten viel zu lachen.
Und so haben wir ihm freundlich eine Chance gegeben – und das hat sich voll ausgezahlt. Joes unaufgeregte Art zu lehren ist erstaunlich. Er sagt gar nicht viel, lässt uns machen und gibt nur hier und da ein paar dezente Hinweise. Ein kleiner Stupps hier, eine kurze Entscheidungshilfe da, aber immer sehr hilfreich – ich würde das jetzt mal ‚unterschwellig’ nennen.
Sein Sinn für Humor ist jedoch kein bisschen unterschwellig, er hat eine ruhige, beschwingte Art, die gleichzeitig motiviert und entspannt. Wenn er ab und zu einen Kommentar wie „Ich möchte, dass ihr jetzt alle wahnsinnig kreativ seid. Und zwar in exakt der Weise, wie ich es Euch vorschreibe!“ in den Raum wirft, mischen sich die Lacher zwischen das Rattern der Nähmaschinen.
Ganz zu Beginn stellt er klar, dass er jetzt wohl auch für irgendein öffentliches Amt kandidieren werde. Und noch am Tag seiner Amtseinführung (es war der Workshop am 20. Januar…) würde er per Dekret all die genialen Ingenieure aus Kalifornien in einen Raum einschließen und ihnen sagen, dass sie nicht eher wieder rauskommen, bevor sie nicht die „full spool bobbins“ erfunden hätten. OK, Endlosbobbins, stell Dir vor, nie wieder der blöde Unterfaden mittendrin zu Ende, herrlich, meine Stimme – dürfte ich denn hier wählen – hätte er sicher. Sehr patent, der Mann.
Auch seine Strategie, seine Instruktionen so kompliziert und undurchsichtig wie nur möglich zu machen, hat System: er möchte sich einfach gebraucht fühlen. Macht Sinn!
Am Freitag klang unsere Aufgabe dann auch erstmal verstörend einfach für mich:
„Beginnt mit einem Dreieck, fügt diesem Dreieck maximal 11 weitere Stoffstücke aus maximal 4 unterschiedlichen Stoffen hinzu, bis ihr ein 24-Inch-Quadrat habt.“
Klingt erstmal übersichtlich. Hat mich dann aber sehr viel Hirnschmalz gekostet, weil ich teilweise rückwärts gearbeitet habe (hatte schon eine 24 Inch lange Seite, von der ich mich dann in Dreieckschritten zurück zu dem Ausgangsdreieck tasten wollte – KEINE gute Idee)
Naja, Joe hat dann unser Treiben auch – immer fröhlich vor sich hinkichernd – auf den Punkt gebracht: „Sewing without knowing“
Immerhin, einen guten Rat hat er uns mit auf den Weg gegeben: Keine Y-Nähte! Wenn Du ein Problem hast: Schneid es ab! Mensch, das möchte ich gerne mal im Alltag ausprobieren, klingt zu gut!
Man merkt schon, dass wir es hier mit einem modernen bzw. Improv-Quilter zu tun haben. Schau Dir an, was ich bei Sherri Lynn Woods Workshop (für’s Leben) gelernt hab und lies auch meine deutsche Übersetzung ihres Interviews mit der Quilt-Gilde hier.
Mir gefällt der entspannte Umgang mit Perfektion und Planung sehr. Hier geht es darum, sich auf einen Prozess und das Material einzulassen und darauf zu vertrauen, dass es gut wird. Joe meinte auch, dass Log Cabin eigentlich eher ein Prozess als ein Schnittmuster ist, weil man den ganzen Tag mit Hin- und Herschieben verbringen kann. Allerdings ist das freie Designen auch alles andere als einfach, zumindest für mich, die sich sehr gerne hinter Anleitungen und Kits versteckt.
Die Bilder von Freitag zeigen, dass manche mehr Mut haben als ich, ganz besonders, was den Umgang mit negativem Raum angeht. Und ich muss mir mal angewöhnen, zu modernen Workshops erwachsenere Stoffe und Farben (uni!!!) mitzunehmen, mit meinem Quietischi-Kram sieht das zu albern aus.
Von Joe haben wir an diesem Tag auch noch eine erstaunlich einfache wie effektive Methode gelernt, auf dem Quilttop mit Schrägband Kontraste, Verbindungen, Abwechslung, Betonung einzelner Bereiche… zu erzeugen. Spiel einfach damit, Du wirst sehen, was ich meine.
Er nimmt gerne ganz normales Schrägband, das er fertig kauft (die Bastelabteilung in unserem Secondhandladen ist jetzt leergekauft, wir waren alle da) und beginnt (sofern vorhanden) mit der Schnittkante. Näh sie einfach auf den Stoff, so, wie es Dir gefällt. Mach Formen, Wege, Zeichen – alles ist möglich. Je schmaler das Schrägband, desto enger kannst Du herumkurven. Band zu kurz? Die Enden entweder im Außenrand verschwinden lassen oder unterfalten. Dann wird das Schrägband in der Mitte gefaltet und die andere Seite festgenäht. Fertig.
Nebenbei: Joes Alltagsmaschine ist eine 25 Jahre alte Bernina 130 und er benutzt mehr oder weniger immer den (irgendwie sperrigen) Obertransportfuß. Er sagt, sein Maschinchen schnurrt immer noch tadellos, aber wenn er mit einer unserer neueren Maschinen nähte, kann er nicht umhin, sich von den „Wundern dieses Jahrtausends“ schwer beeindruckt zu zeigen. „Diese (neuere Bernina-) Maschine fühlt sich an wie zuhause, aber sie klingt sooo viel leiser…“
Sein Bügeleisen ist übrigens einer seiner besten Freunde: „Das Ding ist eine Dampfmaschine, es kann die Natur verändern, also, richtige Probleme lösen!“ Auch das würde ich mir mal gerne für meinen Alltag ausleihen, mal sehen, was man damit noch so alles geradebügeln kann.
Der zweite Workshop war ein ganz anderer: Hier hatten wir eine sehr präzise Anleitung (also, so präzise, wie er nunmal kann und will, denn er sagt, es habe ihn noch nie jemand gebucht, weil seine Fähigkeit, Anleitungen zu schreiben, so außergewöhnlich gut seien. Wir wissen ja auch, warum er sie kompliziert macht ;o))
Nein, im Ernst, wir hatten sehr klare Vorgaben, was wir tun sollten, auch wenn wir nicht ganz genau wussten, was wir da eigentlich machen.
Zufällige Streifen zusammennähen, wieder in vorgegebene Stücke auseinander schneiden, verdreht wieder zusammennähen, dann wieder in der gleichen vorgegebenen Stückelung auseinander schneiden, immer schön auf die 1/4in-Nahtzugabe achten, um dann endlich mit 61/2 Inch Blöcken zu enden. Diese konnten wir dann an unseren Designwänden arrangieren, wie wir lustig waren.
Zur Komposition der Blöcke sagt Joe, dass wir einfach offen für Ideen sein sollten. Manchmal passiert es, dass man die Böcke ohne Plan nebeneinander legt, und das Resultat klasse aussieht. Man kann die Blöcke so drehen, dass immer die Stücke mit dem Hintergrundstoff nach außen zeigen und so den Eindruck erwecken, dass die anderen Farben schweben. Man kann versuchen, mit den Stoffen Formen, zum Beispiel ein Kreuz oder einen Weg, zu bilden und diesen Effekt auch noch mit den Schrägbändern verstärken. Und wie immer: Es gibt kein richtig oder falsch.
Und wieder hatten alle Teilnehmerinnen völlig unterschiedliche Ergebnisse, zum Schluss wirkte der Workshopraum wie ein Museum, in dem man die Werke betrachten und gleichzeitig mit den Künstlerinnen reden konnte, sehr spannend.
Wer mit dem traditionellen Binding nicht so richtig glücklich ist, für den hat Joe auch noch eine sehr elegante, weil einfache Lösung.
Er näht 4 Inch breite, längs gefaltete Streifen wie bei einem normalen Binding auf die Vorderseite des Quilts, Schnittkanten entlang der Außenkante, schöne Seite beim Falten außen. Diese Streifen laufen aber nicht rundherum, sondern sind nur so lang wie die Seiten und enden einfach unversäubert an den Seitenenden. Er beginnt mit zwei gegenüberliegenden Seiten. Auf die beiden anderen Seiten näht er ebenfalls diese Streifen, aber beidseits etwas (ca. 1/2 Inch) kürzer als der Quilt. Er näht sie (bis ganz zur Außenkante) fest, beschneidet die Ecken, um dicke Knubbel zu vermeiden, schlägt alles nach hinten um und muss dann nur noch den so entstandenen Rahmen auf der Rückseite mit der Hand annähen. Von vorne endet der Quilt so nun rahmenlos.
Wer mehr von Joe Cunningham haben möchte, kann sich für seine zweimal jährlich stattfindenden Quilt-Retreats in Seattle anmelden, die wahrscheinlich ein Knaller sind. Er selbst sagt, das Beste daran ist, dass er 5 Tage am Stück reden darf. Es ist mit Sicherheit auch sehr vergnüglich, diesem netten Menschen 5 Tage am Stück zuzuhören. Oder, wie es sein Freund John Pappas als Kommentar auf der Quilt-Gilde-Webseite geschrieben hat:
John Pappas says:
Spending time with Joe (whether it’s a workshop, a lecture, or sitting in the woods) is always a pleasure. Looking forward to his Ann Arbor dates.