Die Quiltgilde im virtuellen Raum
Nein, kein Blogpost über unsere Katze (obwohl – verdient hätte sie einen). Es geht um unsere neue Normalität, die Welt, in der wir gerade leben. Und wie wir damit klarkommen, uns anpassen. Ganz besonders, wie wir QuilterInnen klarkommen. Um das gleich vorwegzunehmen: Viele meiner geliebten MitquilterInnen gehören zu der besonders verwundbaren Gruppe, die extrem vorsichtig sein müssen, um sich dieses lausige Virus nicht einzufangen. Aber eben diese QuilterInnen sind auch unglaublich smart, positiv und aufgeschlossen. Und genau darum geht es in diesem Post.
Die Greater Ann Arbor Quilt Guild ist für ihre absolut gigantischen Quilt-Wochenenden, die jeden zweiten Monat stattfinden, bekannt. Landesweit bekannte LehrerInnen kommen zu uns, halten freitags und sonntags jeweils ganztägige Workshops und einen Vortrag während unseres Gildetreffen an den Samstagen. Hier kannst Du mehr darüber lesen.
Naja, so war das jedenfalls, in den guten alten Zeiten vor Du-weißt-schon-welchem-Virus. Die guten alten Zeiten, als wir uns auf die Pelle rücken und drücken konnten ohne jeden Hintergedanken – weißt Du noch?
Aber QuilterInnen (und, darf ich hinzufügen: BewohnerInnen des Midwest?) wären keine QuilterInnen, wenn sie so einfach das Handtuch werfen würden. Sich von einer Pandemie einschüchtern lassen? Pfff, wo denkst Du hin? Sie haben die Herausforderung lieber angenommen und mit ganzer Kraft an Ideen und neuen Wegen gearbeitet, um unsere Gilde vital und vernetzt zu halten.
Oder, um es mit den Worten unserer Präsidentin Susan Schwandt zu sagen: „Statt darüber zu lamentieren, was wir wegen der Pandemie alles nicht machen können, haben wir uns darauf konzentriert, was wir machen können und sind mit Vollgas losgezoomt!“
Übrigens möchte ich hier nicht das unendliche Leid ignorieren, das 2020 in unterschiedlichsten Formen über so viele Menschen weltweit gebracht hat. Ich berichte aus einer ziemlich privilegierten Ecke über eine kleine, glückliche Nische! Aber die darf es ja auch geben. Also:
Schon im Mai hat das erste Gildetreffen online stattgefunden. Und mittlerweile fühlt sich das schon fast normal an. 124 TeilnehmerInnen im Zoom-Call, ich würde sagen, dass sich das sehen lassen kann.
In den Breakoutrooms kann man ganz einfach mit einigen wenigen quatschen, wie bei jedem normalen Quilttreffen. Allerdings hat das sogar einen Vorteil: Durch die zufällige Zuweisung in einen Breakoutroom landet man dort bunt gewürfelt. Und so kommt man mit Mitgliedern ins Gespräch, zu denen man sich sonst wahrscheinlich nicht dazugestellt hätte, weil man sie nicht kannte. Gerade wenn man ein bisschen schüchtern ist! Das empfinde ich als kleines Geschenk, und ich freue mich immer ganz besonders auf diesen Part, weil ich dann wieder neue Quilterinnen kennenlerne.
Heutzutage (und ich rede davon, dass sich diese Veränderungen innerhalb weniger Monate vollzogen haben) schicken die Mitglieder Fotos ihrer fertiggestellten Quilts an das Zoom-Team für das Show-and-Tell während des Treffens. Denn das ist einfacher, als mit dem Kingsize-Quilt vor der Web-Kamera am iPad oder Laptop herumzutanzen.
Die kleinen Gruppen treffen sich jetzt einfach via Zoom. Anfangs war das ein bisschen komisch, aber absolut machbar. Und die kleinen Unannehmlichkeiten sind nichts, wenn man dafür damit belohnt wird, die vertrauten Gesichter zu sehen, zu erzählen, miteinander zu lachen und gemeinsam zu nähen.
Oh, zusammen nähen, für einen guten Zweck? Warum sollte man damit aufhören, nur weil gerade eine weltweite Katastrophe stattfindet?
Beim ersten virtuellen SafeHouse-Nähen für das hiesige Frauenhaus haben sich 22 fröhliche Quilterinnen zusammengefunden (vier davon waren gerade erst Mitglied geworden, stell‘ Dir vor), um noch mehr Quilts für das SafeHouse zu machen. Zusätzlich zu den 292 Quilts, die schon in der Lockdown-Phase früher im Jahr entstanden sind und die deswegen die Quarantäne-Quilts genannt werden.
Unsere große zweijährliche Quilt-Ausstellung wegen einer krassen Krise absagen? Hallo? Wo kommen wir denn da hin? Da bringen wir den Augenschmaus doch einfach nach Hause und machen die Quiltshow online. Aber verlieren wir dann nicht das Geld, dass wir sonst durch die Eintrittsgelder für unsere SafeHouse-Spendenaktion erwirtschaften? Nein! Stattdessen haben die Online-Besucher freiwillig gespendet, so sind 12.000 Dollar (durch die Spenden und verkaufte Quilts) zusammengekommen.
Tja, die Online-Workshops waren dann einfach der nächste logische Schritt. Und lass es Dir gesagt sein, die Situation hat durchaus ein paar Vorteile:
- Keine Maschinenschlepperei
- Keine vergessenen Kabel oder Gaspedale
- Alle Utensilien und Dein kompletter Stoffvorrat zur Hand
- Du kannst einen Blick in die Zimmer Deiner Näh-Freundinnen werfen
- Keine Sorgen wegen Schneestürmen oder Glatteis
- Das hält uns flexibel und treibt uns aus unserer Komfortzone heraus
- Wir alle bewältigen eine ganz schön steile Lernkurve – und es macht irgendwie auch Spaß, sich neue Fähigkeiten anzueigen.
- Zuhause ist es auch schön
- Du kannst wie immer mit Deinen Freundinnen quatschen, während der Mittagspause oder im privaten Chat.
- Aus Fahr- und Reisezeit wird Nähzeit
- Gesparte Reisekosten kann man direkt in Stoff umsetzen
- Jeder hat einen Platz in der ersten Reihe, kein Schubsen und Drängeln für den besten Blick auf die Lehrerin
- Zoom liefert Dir alle Namen (Elvira’s iPad oder so) zu den Gesichtern (das ist für Prosopagnostiker wie mich (das bedeutet Leute mit Gesichtserkennungsschwäche) ein echter Segen!)
Das ist eine Menge, oder?
OK, ich muss zugeben, es gibt auch ein paar Nachteile:
- Du bleibst in der Reichweite von Kindern, Haustieren und Ehemännern, die wegen Online-Schule und Homeoffice immerzu alle zuhause sind. Es ist schon schwer, sich auf darauf zu konzentrieren, wirklich weltbewegende Kunst zu erschaffen, wenn ständig jemand fragt „Wo sind meine Schuhe?“ oder „Was gibt’s zum Abendessen?“
Ich weiß, wovon ich rede, glaub‘ es mir! - Kein Tauschen und Teilen – von Stoff, Werkzeugen, Essen, vielsagenden Blicken…
- Keine Umarmungen
- Es ist einfach nicht das gleiche. Punkt.
Aber wir haben uns dazu entschieden, uns nicht zu beklagen, sondern machen, was wir machen können. Auf diese Weise wurde Ellen Lindner zu unserer Pionierin. Sie wird in die Geschichtsbücher unserer Gilde als DIE ERSTE eingehen. Ellen hat mit uns den ersten Online-Workshop abgehalten. Ein ganzer Trupp technisch mehr oder weniger versierter, mutiger und neugieriger Gildemitglieder ist in das kalte Technikwasser gesprungen und hat sich Zoom, Go-to-meetings und all dem gestellt, um das zu ermöglichen. Sie sollten übrigens auch in den Chroniken erwähnt werden.
Also, wie funktionieren die virtuellen Klassen? Keine Angst, es ist wirklich ganz einfach. Wer immer die Veranstaltung organisiert (entweder die Gilde, der Stoffladen oder die LehrerIn über ihren eigenen Plattform-Account) schickt Dir eine Email mit einem Link. Auf den klickst Du und bist fast da. Alle Systeme, mit denen ich bis jetzt zu tun hatte, sind intuitiv, selbsterklärend und werden noch dazu ständig verbessert. Und ich kenne eine bezaubernde Gilde-Präsidentin, die einen genialen Zoom-Spickzettel zusammengestellt hat, der keine Fragen offen lässt.
Manchmal wirst Du aufgefordert, Deinen Namen, Deine Emailadresse oder einen Code, den Du per Email zugesandt bekommen hast, einzugeben, je nach den Einstellungen Deiner Gastgeber. Eventuell fragt Dich das System auch, ob Du mit Kamera an oder aus in das Meeting eintreten möchtest. (Mach‘ die Kamera an, es macht so viel mehr Spaß, wenn wir uns sehen können). Manchmal musst Du warten, bis der Gastgeber Dich hereinlässt. Wenn Du dann drin bist, hast Du in der Regel einige Optionen, wie zum Beispiel,
- Dich selbst auf lautlos/stumm zu stellen (das hilft enorm, die vielen Hintergrundgeräusche von allen Teilnehmern auszuschließen, wenn zum Beispiel Lorettas Hund bellt oder Agathes Mann Husten hat)
- Video (=Kamera) an/aus: siehe oben, immer an, wer will schon mit vielen kleinen schwarzen Kästchen reden?
- die Chat-Box (falls sie freigeschaltet ist) für Nachrichten und Kommentare, die Du entweder an alle oder an ausgewählte Einzelpersonen wie den/die ModeratorIn, den/die LehrerIn oder an Deine Freundin schicken kannst. Hier empfiehlt es sich unbedingt, vor dem Absenden ganz genau hinzusehen, ob Dein Kommentar „Unser Lehrer ist doof“ wirklich an Deine beste Freundin oder an die gesamte Mannschaft geht… ich mein ja nur)
- und einige andere, wie Bildschirmteilen, Eintreten in einen Breakoutroom etc., die Du genauso einfach unterwegs lernen wirst.
Macht Dir das Sorgen? Wenn Du mir eine Email schicken kannst, kannst Du das hier auch, ehrlich! Und ich verspreche Dir, dass es sich spätestens nach dem dritten Online-Treffen völlig normal anfühlt. Du glaubst mir nicht? Kein Problem! Schicke mir eine Email, und ich setze gerne ein Zoom-Meeting für uns beide auf, in dem wir das alles 1:1 üben. Ernsthaft!
Der Rest ist Geschichte: Einmal drinnen, fühlt sich der Workshop von Minute zu Minute selbstverständlicher an. LehrerIn redet, zeigt und erklärt.
Die meisten haben mindestens zwei Kameras eingerichtet, die eine zeigt sie, die andere was immer sie auf der Schneidematte, an der Designwand oder Nähmaschine macht. Oft haben LehrerInnen auch vorab Videos aufgenommen, zum Beispiel für einen bestimmten Arbeitsschritt, den sie dann entsprechend zeigen. Du kannst Deine KlassenkameradInnen sehen, Du kannst Fragen stellen, eigentlich kannst Du so ziemlich alles machen, was Du in einem normalen Workshop auch machen könntest. Außer jemanden umarmen. Das geht nicht, böh!
Zurück zu unserer Pionierin. Ellen hat den ersten GAAQG-Workshop gemacht (mittlerweile sind auch die Workshops mit Maria Shell abgeschlossen), aber das war nicht der erste Online-Workshop, an dem ich teilgenommen habe. Und hier kommt ein anderer wirklich großer Vorteil: Du kannst einfach überall hin! Ich war ‚in‘ Albuquerque für eine Klasse mit Angela Walters bei der Albuquerque Modern Quilt Gilde. Und in Portland für zwei Kurse mit Christina Cameli. ‚In‘ Denver habe ich Melissa Averinos zugehört. Und ich war sogar in Deutschland, um endlich nochmal Klassen auf deutsch mitmachen zu können. Mit der Patchworkgilde Deutschland! Danke, Zoom!
Und natürlich kannst Du Dich mit FreundInnen verabreden und Euch wo immer Ihr wollt zusammen anmelden, das ist klasse. Aber es gibt nichts Schöneres als ein Workshop, der voll mit Deinen FreundInnen ist. Es ist ein echtes Geschenk, Deinen Radius ohne Einschränkungen außer Zeitzonen auszuweiten, aber Deine FreundInnen zu sehen – wenn auch nur auf dem Bildschirm – ist einfach das Allerbeste. Habe ich erwähnt, dass ich Umarmungen vermisse? Vermisse ich. Sehr sogar!
Aber bis wir uns wiedersehen: Ich bin so dankbar für die Technik und all die smarten Frauen, die Online-Treffen, -Workshops und -Vorträge organisieren und durchführen!
[…] – ‚kann man das erkennen?‘. Ich habe über diese verrückte Zeit einen eigenen Blogpost hier […]