Ich hatte mir am Morgen einen Friseurtermin gegönnt, die Kinder waren schon ganz früh von der Schule zurück, weil sie nur einen halben Tag hatten. Also ging um elf Uhr mein Handy:
„Mama, wir haben keinen Strom“.
„Na und, ist doch hell, und einigermaßen warm. Ich komme gleich zurück und dann fahren wir in die Stadt und …“
„MAAAMAAAA! WIR…! HABEN…! KEIN…! INTERNET…!!!“
Oh Gott, wie kann man nur so begriffsstutzig sein: Strom. Internet. Es ging also um Leben und Tod.
Ja, und seither ist der größte Weihnachtswunsch meiner Töchter ein…Generator!
Wir haben ja schon mal öfter Stromausfälle. Das ist in einem Land mit vielen Bäumen, richtigem Wetter und oberirdischen Stromleitungen ja auch nicht weiter verwunderlich. Als am Mittwochmorgen der Strom ausfiel, war das aber schon besonders, genauer gesagt einer der umfassendsten Stromausfälle in Michigan seit Erfindung der Glühbirne, ungefähr. Nachdem der Sturm sich am Donnerstag gelegt hatte, gab die Energiegesellschaft bekannt, dass sie hofft, rund 90 Prozent der knapp eine Millionen Menschen wieder mit Strom versorgen zu können. Sie hoffen. Neunzig Prozent. Eventuell. Bis zum Wochenende. Oha.
Um zu verstehen, was das hier bedeutete:
- Wir hatten kein Internet! Ich war natürlich mit meinem Handy online, aber das habe ich nicht mit den Mädchen geteilt, weil ich es ja nur im Auto laden konnte. Ich bin auch noch gemein. Also kein Internet. Sehr schlimm.
- Kein Licht, nicht so schlimm, es ging auf Vollmond zu und der Himmel war ja wolkenlos gepustet. Und IKEA-Kunden kennen keinen Kerzenmangel. Also eher gemütlich als schlimm.
- Auch sonst kein Strom. Naja, lästig.
- Keine Schule. Eine Frage der Perspektive. Die Grundschule hatte auch keinen Strom und war ab Mittwochmittag geschlossen. Unglücklicherweise hatte die Mittelschule Strom. Aber ohne Internet ist zuhause eh langweilig, dann doch lieber Schule. Glücklicherweise hat sich die Kleine dann zum Spielen verabredet, dann war den Tag nicht ganz so lang.
- Keine Heizung. Klimawandel sei Dank, tagsüber 10 Grad (plus), nachts knapp unter Null. Das Wichtigste: ein Kamin. Und genug Holz in der Garage. Kennst Du Caillou und die Folge, in der ein Schneesturm für einen Stromausfall sorgt und alle im Wohnzimmer vor dem Kamin schlafen? Ich tu immer so, als wäre das nur der Traum meiner Kinder, dass das mal passiert, aber in echt habe ich auch immer davon geträumt. Na, und dann hab ich genau das zum Geburtstag bekommen! War das kuschelig, seufz. Zumindest in der ersten Nacht, als das Haus noch nicht komplett ausgekühlt war, Amerikaner haben’s nicht so mit Isolation (das meine ich jetzt nicht politisch). Die Heizleistung unseres Kamins merkt man am besten 10 bis 50 Zentimeter vom Feuer entfernt, weiter weg ist die Wirkung eher übersichtlich. Ging aber. Nur nachts alle ein bis zwei Stunden Holz nachlegen, damit das Feuer nicht ausgeht, war nicht ganz so romantisch wie bei Caillou.
- Kein Wasser. Noch nicht mal kaltes. Genau, und keine Toilette. Wir haben einen Brunnen, das Wasser wird mit einer Pumpe hochgepumpt, elektrisch. Blöd, irgendwie.
Am Nachmittag von Tag zwei war ich drauf und dran, einen Generator zu kaufen. Gottlob war der Stromausfall zwar flächendeckend, aber löchrig. Viele Gegenden (inklusive Tankstellen und Geschäfte!) hatten Strom, ihre Nachbarn dann keinen. Der Verkäufer war viel zu nett, um mich auszulachen, aber Grund hätte er gehabt. Bisschen naiv, noch immer über 800.000 Menschen unabsehbar ohne Strom, und Nico denkt: „Geh ich mal in einen Laden im Ohne-Strom-Epizentrum und kauf uns einen Generator!“ Ganz schön gescheit… Also kein Generator.
Wahrscheinlich gibt es in Florida noch welche. Wir fingen langsam an, das Wochenende im Hotel zu planen (falls wir da noch was bekommen hätten…). Die Großen hatten sich für Nacht zwei schon bei Freundinnen einquartiert, weil sie duschen wollten.
Aber am dritten Morgen war dann hier alles wieder gut: Strom, Licht, Wasser, Toilette, Heizung… Danke, Ihr DTE-Leute, die schon während des Sturms ununterbrochen versucht haben, alles möglichst schnell zu flicken.
Den Inhalt des Kühlschranks hatte ich in einer geschlossenen Kiste auf der Terrasse gerettet, die Tiefkühlsachen sind jetzt gegessen oder zwangsentsorgt. Und weil er eh leer war, habe ich einen Kühlschrankputzkoller bekommen und einfach mal aus lauter Freude an Strom und Wasser einen Megafrühlingsputz in der Küche veranstaltet. Das Gute daran ist, dass ich für dieses Jahr genug geputzt habe. Der Nachteil: Ich wollte mich eigentlich endlich für all die lieben Geburtstagswünsche per Schneckenpost, Facebook, WhatsApp, Email, SMS… bedanken! Danke, danke, danke, Ihr Lieben, falls ich irgend jemanden vergessen haben sollte!
Außerdem haben wir jetzt einen guten Vorrat an Wassergallonen, Papptellern (ich weiß, politisch nicht korrekt, aber spülen ohne Wasser ist auch doof), einen neuen Campingkocher, Gaslampe und jede Menge Gaskartuschen für den nächsten Zeltausflug. Und keinen Generator, ist ja auch noch nicht Weihnachten.
Aber ich scherze hier so vor mich hin, während nur eine Straße weiter der Strom noch nicht wieder da ist, die Generatoren brummen durch die Nacht, die sich mittlerweile auf 12 Grad abgekühlt hat, minus! Jetzt sehe ich den beliebten Michigander Abschiedsgruß mit anderen Augen. Hier sagt man statt „Tschüss“ oder „Mach’s gut“ im Winter eigentlich immer „Stay worm!“