Contemporary African American Quilts
Auf den Weg „up north“ (so sagt man hier, wenn man am Wochenende oder für länger mehr oder weniger nördlich zu einem der großen oder der ungezählten kleinen Seen fährt), habe ich im April 2016 im Flint Institute of Arts Halt gemacht und mir das erste Mal afro-amerikanische Quilts angesehen. Das war ein umwerfendes Erlebnis.
Ich habe in meinem kurzen Quiltleben ein paar lebensnotwendige Grundregeln gelernt: immer fein exakt, genau, ausgewogen und nach allen Vorschriften zu nähen. Makellose Stoffauswahl, korrektes Zuschneiden, penibel die Spitzen aufeinandertreffen lassen. Was schief ist, wird wieder aufgetrennt, gnadenlos, sonst kommt die Patchworkpolizei auf den Plan!
Und dann komme ich also in meine erste Quilt-Ausstellung überhaupt, und denke, mich trifft der Schlag! Was da an den geduldigen Museumswänden hängt, entspricht nicht die Bohne dem, was ich bislang gelernt habe: Wenn Muster, dann höchstens als Idee, Nähte abenteuerlich krumm und schief, Stoffe scheinbar total wahllos, alte Jeansarbeitshosen, Krawatten, olle Stoffe, da hatten sich die Macherinnen aber so gänzlich an gar keine Regel gehalten, die ich bis dahin kannte. Und das konsequent. Hm.
Und weißt Du was? Ich war nach der ersten Schockstarre grenzenlos beeindruckt. Dass die sich das trauen! Ich glaube, genau das war es: Wieso haben diese Frauen die Traute, das so, genau so zu machen? Abgesehen davon, dass manche „Designentscheidung“ sicher getroffen wurde, weil der graue Stoff einfach zu Ende war und die Quilterin dann mit dem Rest blauen Stoffes weitergearbeitet hat, wenn also materielle Gründe die Freiheit zum Design begrenzen. Aber ich glaube, dass mehr dahinter steckt. Wenn man mit dem Stoff so haushalten muss, könnte man ihn schließlich, mit ein bisschen Rechnerei, geschickter einsetzen, anders verteilen und Fehlendes ausgleichen. Die amischen Quilterinnen konnten auch nicht immer aus dem Vollen schöpfen, ebensowenig chinesische Patchworkerinnen. Aber deren Quilts sehen sehr anders aus. Es ist ja grundsätzlich nicht selbstverständlich, einen endlosen Stoffvorrat zur Verfügung zu haben.
Diese Frauen haben aber nicht gerechnet, sie haben nicht stundenlang gefummelt, damit alles schön perfekt ist. Und mich berauscht diese Dreistigkeit, die Selbstverständlichkeit, mit der die Quilterinnen ihr Ding machen und sich nicht um Konventionen scheren. Oben links ein pinkes Stück Stoff. Nur da, nirgendwo sonst taucht dieser Stoff nochmal auf, um für Ausgewogenheit und Ruhe im Auge des Betrachters zu sorgen. Nö, nur da. Cool. Diese Quilts sind für mich der Inbegriff von Emanzipation und Selbstbestimmung. Hier hat jemand Entscheidungen getroffen, ist nur seinen, d.h. ihren Gefühlen und Wünschen gefolgt. Das Ergebnis entspricht nicht dem gängigen Schönheitsideal, nicht den klassischen Block-Schnittmustern, es entspricht einfach nicht den Erwartungen von europäischen/eurasisch-amerikanischen Männern. Und Frauen. Männer, weil sie vielleicht gar nicht in diesen Dimensionen denken wollen. „Warum macht die das so krumm, kann die nicht gerade? Das ist doch nicht schön so, oder!?“
Und bei den Frauen, die diese Quilts mit Verve ablehnen, unterstelle ich manchmal ein bisschen Neid. Auf den Mut und das Selbstbewusstsein, sich nicht an Konventionen zu halten – und da schließe ich mich noch nicht einmal aus.
Ähnliches erlebt man auch in Museen, wenn Menschen vor modernen Gemälden stehen und fachsimpeln: „Das hätte ich auch gekonnt. Und meine vierjährige Tochter auch!“ Hätte! Haste aber nicht. Und schon gar nicht als ErsteR! Das macht den Unterschied. Gerade Kunst kann man ja nur aus dem Zusammenhang verstehen. Wenn immer alle schwarz-weiß malen, ist das erste bunte Bild eine Zumutung. Nicht gerade jeder fand damals Botticellis oder Michelangelos opulenten Gemälde gut! Wenn alle möglichst realistisch wiederzugeben versuchen, ist das abstrakte Bild ein Affront.
Und wenn ich verzweifelt versuche, Nähte aufeinandertreffen zu lassen, wenn ich mein ganzes Leben versuche, es immer allen Recht zu machen, um mal auszuschweifen, dann kann ich es nicht gut aushalten, wenn es Frauen gibt, die aus diesem Korsett ausbrechen.
Was übrigens nicht im geringsten bedeutet, dass ich klassische, perfekte Quilts nicht schön fände. Im Gegenteil, sie faszinieren mich endlos, ich kann nicht aufhören, sie anzusehen, in ihnen mit meinen Augen spazieren zu gehen, mich in ihrer Perfektion und Schönheit zu verlieren. Traumhaft! Ich träume davon, das auch zu können. Aber eben nicht nur das. Hab’ ich schon öfter erwähnt, dass ich es nicht mag, wenn man von mir verlangt, mich festzulegen, wenn dazu kein Notwendigkeit besteht? Vermutlich. Im Übrigen hängen auch in dieser Ausstellung einige ziemlich genau berechnete, sehr akkurate Quilts, nur der Vollständigkeit halber.
Die afro-amerikanischen Frauen haben es vorgemacht, wir dürfen es nachmachen: IMPROVISIEREN! Und Sherri Lynn Wood macht geniale Kunst und Workshops zu diesem Thema, lies mehr dazu hier!
Ich zeige Dir hier einfach umkommentiert die Fotos, die ich in der Ausstellung gemacht habe. Die Rechte gehören natürlich nicht mir, sondern den Künstlerinnen, dem Museum, der Ausstellung oder sonst wem. Mary Elizabeth Johnson Huff hat für das Montgomery Museum of Fine Arts einen wunderschönen Katalog zu der Ausstellung gemacht.
OK, die Fotos:
Beim Betrachten der Bilder und beim Blättern im Katalog ist mir aufgefallen, dass ich hierzu gerne noch viel mehr schreiben möchte. Ich war am Tag der Finissage in Flint, die Kuratorin hat noch viel erzählt. Und es gab einen Film, bei dem ich Rotz und Wasser geheult habe. Ich versuche, die Fortsetzung möglichst bald zu posten…
[…] Ganz besonders möchte ich von den Memory- oder Erinnerungsquilts erzählen, die mein Herz für sich eingenommen haben. Hier steht, wie es dazu kam. Quilts aus bedeutungsvollen Stoffen zu nähen, hat in Amerika eine sehr lange Tradition. Selbst die Quilts, für die tatsächlich aus purer Not und als Schutz vor Kälte abgetragene Kleidung recycelt wurde, werden von ihren Menschen als Teil ihrer Geschichte, als reiche Erinnerungsspeicher geachtet und geliebt. Diesen habe ich in einer Ausstellung in Flint gesehen, die mich unglaublich beeindruckt hat, schau hier. […]
[…] bleibender Eindruck: Hier habe ich über die Ausstellung ‚How I picture it in my mind‘ im Kunst-Museum von Flint geschrieben, die mich 2016 einfach um-ge-hau-en […]